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2004/05 BIANCA GUTBERLETIconIconIconIconIcon


Lubberland

7 C- Prints, je 70 cm x 100 cm

2003, FH Dortmund / Professor Heiner Schmitz / Professorin Margareta Hesse

 

Herzlich willkommen im Lubberland

"Lubberland" ist ein englischer Ausdruck für das Schlaraffenland, welcher 1598 in einer Geschichte verwendet wurde. Mit einem "lubber" bezeichnet man einen faulen Lümmel oder einen ungeschickten Seemann.

Jeder kennt das Schlaraffenland aus seiner Kindheit, jedoch war es ursprünglich kein harmloses Kindermärchen, sondern ist aus einem Wunschtraum der europäischen Völker entstanden. Der Traum vom Reich der Faulenzer, dem Fress-, Sauf- und Schlafparadies, entstand im Widerspruch zum Lebensverzicht der christlichen Religion, mit ihrem auf Leistung und Askese aufgebauten Wertesystem, mit ihren Vertröstungen auf ein vergeistigtes Jenseits, suchte man ein irdisches Paradies zu finden. Im Schlaraffenland gibt es keine Klassenunterschiede, und wenn, dann stehen die Faulen, Unmanierlichen und Unmoralischen, die Grobiane und Dummköpfe an der Spitze. Die Fleißigen und Tugendhaften hingege werden aus dem Land verjagt...

Das Schlaraffenland ist ein Traum der Hungrigen, der Entrechteten, der zur Arbeit Getriebenen: Um so üppiger fallen die Phantasien aus, und sie richten sich vor allem an die wesentlichen Bedürfnisse: Essen, Trinken, Schlafen, ein Dach über dem Kopf, ein Jungbrunnen, verbunden mit dem nach einem Bad erst gehörig konsumierbaren Jungfrauen, Tanz und Lautenspiel sind schon Extrazugaben. Dass alles so sehr im Überfluss vorhanden ist, kann man wohl auch als Parodie auf das christliche Jenseits verstehen. (1)

In dieser Fotoserie geht es um den Mythos des Schlaraffenlandes, um schon erfüllte Träume aus unserem "Menschenpark"(2), die jedem von uns zugänglich sind. Wenn wir sie auch nicht täglich konsumieren können, ist es möglich, Häppchenweise an dem Überfluss, der uns umgibt, teilzuhaben.

Die Motive stammen nicht aus dem Leben der High-Society, sondern sind alltägliche Bilder. Die Ästhetik der Bilder lehnt sich an semi-professioneller Urlaubsfotografie an, es sind Erinnerungsstücke aus einem anderen Land, welches besucht wurde. Es ist eine Besichtigungstour, eine Reise in den "Menschenpark"(2) des "Lubberlandes". Es ist ein künstliches, von Menschenhand angelegtes Land. Die Künstlichkeit wird noch durch die übersteigerte Farbigkeit überspitzt. Vorwiegend treten positive, fröhliche, reine Farben auf: Pink, Rosa, Rot, Gelb, Blau. Die Bilder transportieren auf den ersten Blick positive Inhalte, die natürlich hinterfragt werden können. Einige Schlaraffenlandmythen, die in unserer Gesellschaft realisiert wurden, sind in dieser Arbeit visualisiert.

(1) "Das Schlaraffen Land – Der Traum von Faulheit und Müßiggang", Martin Müller
(2) Peter Sloterdijk

Der Milchfluss

Im Schlaraffenland gibt es die Vierheit von Wein, Milch, Öl und Honig. Es gibt Weinregen, Weinflüsse, Suppenbäche oder ein Milchmeer. Sie haben elementare Bedeutung in der Geografie des Landes, so wie für uns Quellen, Flüsse, Seen und Meere.

In dem Motiv steht eine Frau, Ende dreißig, die ihr erstes Kind auf dem Arm hält. Ein Symbol unseres medizinisch technischen Fortschritts, der Gesundheit und Jugendlichkeit unserer Gesellschaft. Die Frau trägt ein weißes Kleid. Es steht für Unschuld und unbefleckte Empfängnis. Die Umgebung ist ein künstlich angelegtes Biotop der Idylle und Perfektion. Es zeigt uns ein natürliches Paradies mit einem Milchfluss, der sich in voller Kraft ergießt und unversiegbar scheint. In den meisten Geschichten gibt es keine Liebe, wird sie sogar als seelische und körperliche Aktivität abgelehnt. Kinder kann man sich vom Baum pflücken, oder in anderen sind sie ganz entbehrlich, weil man sich im Jungbrunnen wieder zurückverwandeln kann. Künstliche Empfängnis scheint eine gute Alternative zu sein.

Der Jungbrunnen

Ein zentrales Motiv ist der "Jungbrunnen". Das "Lubberland" ist das Land des Seins – Werden und Vergehen besitzen keine Geltung. Ein Bad im Brunnen tilgt die Spuren der Vergänglichkeit und führt den Menschen zurück auf eine Lebensstufe, in der er nicht mehr Kind, noch nicht Greis – sorglos um die Zukunft und unbelastet von der Vergangenheit so sein kann, wie ihm behagt; eine Parodie auf die christliche Taufe.

In der Bildmitte befindet sich ein Brunnen, mit dem aus dem Wasser herausragenden "Baum des Lebens". Um ihn herum sind alte gebrechliche Männer. Einer bereitet sich darauf vor ein Bad zu nehmen. Im Brunnen befinden sich 14- jährige Jugendliche. Sie sind das Symbol von Unschuld und Reinheit, stehen für den Jugendkult in unserer Gesellschaft. Sie versuchen, die Alten zu bewegen ein Bad zu nehmen, bedrängen sie schon fast. Keiner kann sich dem gesellschaftlichen Druck entziehen. Dies wird auch sehr schön in "Schöne Neue Welt" von Aldous Huxley beschrieben: Die körperliche Perfektionierung des Individuums als Allheilmittel für eine glücklichere Gesellschaft.

Die Mobilität

Zu den Annehmlichkeiten im Schlaraffenland gehören gesattelte, oder, in arabischen Geschichten, gesattelte und beflügelte Pferde, die auf Bäumen wachsen. Anscheinend war dies ein Traum von sozial benachteiligten Gruppen, ein Traum vom "Herrenvergnügen". Anstelle von Pferden können auch Kutschen vorkommen. In einem Bild von 1730 haben sich diese in Gefährte ohne Pferde verwandelt. Dies ist ein Gesichtspunkt unbeschränkter Mobilität, dem passiven Wechsel von Ort zu Ort als dem schlaraffischen Ideal. Im Lubberland muss der Fahrer keine Leistung mehr erbringen. Es bewegen sich Gefährte auf vier Ebenen. Busse und Bahnen sind Pink, drücken durch die Farbigkeit Lebensfreude aus. Am Himmel sind Heißluftballons, Sie stehen für Freizeitspaß durch Mobilität. Es gibt in Zentralperspektive einen offenen Horizont, als Andeutung der unbegrenzten Möglichkeiten mobiler Freiheit in unserer Gesellschaft.

Das Spiel

In "Schöne Neue Welt" wird Urlaub in der Natur nicht gebilligt, denn dort wird nicht konsumiert. Golfen ist ein gemütlicher Zeitvertreib, den man in vielen Ecken von Lubberland finden kann. Die Mitglieder zahlen ihre Jahresbeiträge und tragen so für den gesellschaftlichen Aufschwung des Landes bei. In der "Schönen, neuen Welt" von Aldous Huxley werden die Menschen von "... Armeen von Managern und durch Propaganda" gelenkt und manipuliert – heute erfüllen diesen Zweck Massenmedien und Werbung. Wir haben Spieler im Bild, die Golfspieler und eine Spielerin in einer anderen Ebene mit einer Fernbedienung, die das ganze Spiel letztendlich führt, als symbolische Figur für die Manipulierbarkeit des Individuums. Die landschaftliche Idylle wird von einer Industrieanlage am Horizont gebrochen. Das übersteigerte gelbstichige Grün im Rasen, überspitzt den von Menschenhand künstlich geschaffenen Raum in einer natürlichen Landschaft.

Der Freizeitpark

Die "Science-fiction" aus "Schöne neue Welt" von Aldous Huxley wurde aus dem jenseitigen Paradies in die Zukunft verlegt, wo wir schon angekommen sind. Massenkonsum ist wichtig, damit der Motor der Gesellschaft weiter läuft. Es gibt eine Verbrauchspflicht im Interesse der Industrie. Als Erholung von Realität gibt es Urlaub in Freizeitparadiesen. Im Motiv ist Eurodisney. Einer der größten Themenparks in Europas. Familien, Jugendgruppen, Singles bewegen sich im Gleichklang der Musik durch Kulissen und künstliche Welten, die sie aus dem Kino und dem Fernsehen kennen. Eine virtuelle Welt zum Anfassen. Fröhlichkeit und gute Laune gehören zum Programm und werden durch rosa Luftballons ausgedrückt.

Der Konsum

Massenkonsum als Gesellschaftsphilosophie, das moderne Warenhaus als Ansammlung von allen erdenklichen Objekten menschlicher Wunschträume, gebärdet sich als Schlaraffenland auf Erden. Der Kunde wird umschmeichelt von Musik und Düften, wird mit den Objekten seiner Wünsche direkt konfrontiert. Der Herstellungsprozess der Objekte fehlt ganz, die Produktion wird vom Objekt entkoppelt. Das Paradies liegt heute im Einkaufsmarkt. Im Bild sehen wir einen blauen Bogen der uns den Eintritt ins Paradies symbolisiert, verstärkt durch einen Himmel der uns die göttliche Offenbarung verspricht. Aus dem Paradies kommen Menschen mit den Objekten ihrer Begierde, glücklich und zufrieden.

Das Volksfest

Viele schlaraffische Motive kann man auf Volksfesten finden. Essen an allen Ecken in jedem Winkel, Würste, Süßigkeiten, gebratene Hähnchen... Essensgerüche wehen durch die Straßen und Bierbäche, ergießen sich aus Zapfhähnen in die Maßkrüge. In einer Gesellschaft, in der wir beschützt leben, ohne Grenzerfahrungen wie Todesängste, Trauer, Schmerz, sehnen wir uns nach diesen Erfahrungen. Geräte bewegen sich in schwindelerregenden Höhen und vermitteln uns die Gefühle von Tod und Angst. Kontrollierte Grenzerfahrungen in kontrollierten und bezwungenen Welten. Wir schauen über einen Platz, eine Freizeitwelt mit bunten Flug- und Schwungobjekten. Eine eigene kleine Welt mit Gassen und Straßen entsteht bis zum Horizont. Dort befindet sich eine Kirche, aber in den höheren Fahrgestellen scheint man sich dem Paradies näher zu fühlen, spürt die Angst vor dem Tod, bevor man ins Paradies übertreten kann.